Themen

Leiharbeit

Die Zahl der Leiharbeitskräfte explodierte in den vergangenen 50 Jahren. 1973 wurden 19.417 Leiharbeitskräfte gezählt, 1990 rund einhunderttausend, 2015 knapp eine Millionen[1] und 2019 knapp 900.000 Leiharbeitskräfte. Krisen treffen Leiharbeitskräfte immer zuerst und massiv. Ihre Zahl sank in den Jahren 2018, 2019 und 2020 konjunkturbedingt und dann coronabedingt, siehe: Aktuelle Entwicklungen der Zeitarbeit nach den Angaben der Bundesagentur für Arbeit und auch ein Beitrag im SPIEGEL.

Ein Leiharbeiter schreibt in einem Leserbrief in der METALL-Zeitung von Oktober 2016 unter der Überschrift „Druck auf Kranke bei Randstadt“:

„Da ändert sich wohl nichts bei diesem Sklavenhändler. … Sobald ich eine Krankmeldung eingereicht hatte, wurde ich regelmäßig dazu genötigt, Freizeitausgleich oder Urlaub zu nehmen. Zudem wurde ich in die Geschäftsstelle beordert, wo man mich dann immer schön verbal plattmachte… Nie mehr wieder Zeitarbeit““

Wie viele Zugeständnisse haben Betriebsräte gemacht, wie vielen Überstunden, wie vielen Sonderschichten haben sie zugestimmt, damit einige Leiharbeiter als Stammarbeiter eingestellt wurden? Was hätte von Betriebsräten durchgesetzt werden können, wenn Leiharbeit verboten gewesen wäre und nicht die Notwendigkeit dieser Umwandlung von Leiharbeitskräften in Stammarbeitskräfte bestanden hätte?

Die IG BAU, die IG Metall und auch der DGB forderten über Jahre ein Verbot der Leiharbeit. Ver.di hat auf dem letzten Gewerkschaftstag dieses Verbot erneut gefordert. Alle Gewerkschaften sollten zu dieser Forderung zurückkehren.

Die IG BAU konnte 1981 ein Verbot der Leiharbeit in der Bauwirtschaft durchsetzen, das bis heute gilt[2].

Die abhängig Beschäftigten haben kein Interesse an der Verleihung von Arbeitskräften. Sie entwertet die Arbeitskraft der Leiharbeiter und ist die ständige Drohung an die Adresse der Stammarbeiter: Es geht auch billiger. Für einen Leiharbeiter ist es demütigend, in diese Rolle gedrängt zu werden.

Noch erniedrigender sind die besonderen Repressionsmöglichkeiten, die gegen einen Leiharbeiter eingesetzt werden können. Die Versetzung, schon bei Stammarbeitskräften als ein Instrument zur Disziplinierung bekannt, wird in der Hand eines Verleihers zu einem extrem scharfen Einschüchterungsinstrument, weil der Verleiher seinen  Leiharbeiter jederzeit aus einem Betrieb abmelden und in den Betrieb eines anderen Unternehmens schicken kann. Die Arbeitsbedingungen können sich dadurch komplett verschlechtern: Wegezeiten, Arbeitszeiten, Arbeitsbelastungen usw. Die Umsetzung der Forderung ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ entschärft diese Disziplinierungswirkung nicht, eher im Gegenteil. Denn der Leiharbeiter kann jederzeit in den Betrieb einer anderen Branche mit erheblich schlechterer Vergütung auch für die Stammarbeiter geschickt werden. Diese besonderen Disziplinierungsmöglichkeiten können nicht unterbunden werden ohne die Leiharbeit insgesamt zu unterbinden. Leiharbeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass der Leiharbeiter nicht mehr selbst entscheidet, in welchem Unternehmen er arbeitet. Das ist das Wesen der Leiharbeit. Und gerade das hat dem Verleiher den Namen Sklavenhändler eingebracht[5].

weiterlesen hier


[1] Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer – Zeitreihe  ab 1973 November 2016

[2]  Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung v. 22.12.1981 BGBl. Teil I S. 1497;  dort § 12a; jetzt: § 1b AÜG. Dieses Verbot wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht gekippt, sondern als vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt (BVerfG v. 6.101987 1 BvR 1086, 1468, 1623/82 in BVerfGE 77, 84). Die Bundesregierung hielt dieses Verbot auch bei der Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie der EG in deutsches Recht aufrecht (Kittner Arbeits- und Sozialordnung 41. Auflg. 2016, S. 128, 131).

[5] Ton-Steine-Scherben sangen schon vor über 40 Jahren: „Sklavenhändler hast Du Arbeit für mich? Sklavenhändler ich tu’ alles für Dich.“

……………………………………………………………………………………………………………….

Widerständig und Antifaschismus

Im Selbstverständnis der Buchreihe heißt es: „Die Lehren aus der Geschichte sollen lebendig gehalten werden. … Der Faschismus löste die Gewerkschaften auf und beseitigte alle kollektiven Rechte, die sich die Gewerkschaften erkämpft hatten. Das Tarifrecht, das Betriebsrätegesetz – alles wurde mit einem Federstrich zunichte gemacht. „Nie wieder Faschismus“ heißt dagegen Stärkung der Gewerkschaften und Verteidigung und Ausbau der Rechte der abhängig Beschäftigten. „Widerständiges“ Handeln im Betrieb ist in diesem Sinne immer auch antifaschistisches Handeln.“

Dabei kann es uns nicht um falsche Analogien gehen, indem gewerkschaftlicher und betrieblicher Widerstand heute mit dem Widerstand unter dem terroristischen NS-Regime gleichgesetzt wird. Vielmehr möchten wir deutlich machen, in welcher Form sozialpolitisches Handeln, der Kampf um Tarifrechte, angemessene Entlohnung und die Verbesserung von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen konkrete Auswirkungen auch auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse haben.

Eine wichtige Erkenntnis in der heutigen Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen, rassistischen und neofaschistischen Ideologien ist die Erfahrung, dass gemeinsames Handeln für die eigenen Interessen beispielsweise ein wirksamer Schutz gegen Ausgrenzungsideologien und rassistische Schuldzuweisungen sein kann. Wer gemeinsam mit seinen migrantischen Arbeitskolleg:innen den richtigen Gegner bekämpft, wer gegen Unternehmerwillkür oder Arbeitsplatzvernichtung handelt, läuft weniger Gefahr, durch die Ethnisierung des Sozialen („Die Ausländer/ Flüchtlinge/ Migranten sind schuld!“) angesprochen zu werden.

Und wer glaubt, dass das NS-Regime den gleichgeschalteten „Volksgenossen“ mit „Kraft durch Freude“ Privilegien gewährte, sollte nie vergessen: Für solche „Wohltaten“ blieben immer nur die „Krümel vom Tisch“ der Großunternehmen, die sich durch Kriegs- und Rüstungsprofite an der Gesellschaft bereicherten. Und das war nur möglich, nachdem die gewerkschaftliche Gegenkraft durch die Zerschlagung der Freien Gewerkschaften und ihrer erkämpften Mitsprachemöglichkeiten seit 1933 ausgeschaltet waren. Unsere Buchreihe setzt sich also nicht nur für sozialpolitischen Widerstand heute ein, sondern verbindet dies auch mit den Erfahrungen der politischen Verfolgung solchen Handelns in der NS-Zeit.

Dieses Wissen prägte den antifaschistisch- demokratischen Neubeginn 1945 auch in gewerkschaftlicher Hinsicht. Der Wiederaufbau der Gewerkschaften als überparteiliche Einheitsorganisation war von der Erkenntnis getragen, dass die politische Niederlage der organisierten Arbeiterbewegung 1933 auch ihrer Zersplitterung geschuldet war.

Einheitsorganisation bedeutet dabei nicht, dass sich die Gewerkschaften unmittelbar als konsequenter Kampfverband verstehen. Vielmehr muss innerhalb der Gewerkschaften immer wieder um den konsequenten Weg der Durchsetzung der Interessen der abhängig Beschäftigten gerungen werden. Dabei geht es auch um die Frage, welchen Einfluss die Gewerkschaften im gesellschaftspolitischen Rahmen wahrnehmen wollen und können, nicht im Sinne von Parteipolitik, sondern als demokratische Gestaltungskraft. In diesem Sinne bedeutet Antifaschismus für uns nicht nur eine Gegenbewegung, sondern er beweist seine Lebendigkeit als Zukunftsentwurf für eine solidarische und sozial gerechte Gesellschaft – und dafür sind Gewerkschaften unverzichtbar.