Die rot/grüne Bundesregierung verbarg 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze den Abbau von Schutzrechten für Leiharbeitskräfte hinter dem Versprechen, Leiharbeitskräfte Stammarbeitskräften gleichzustellen; sie versprach nicht nur gleichen Lohn für gleiche Arbeit („equal pay“), sondern insgesamt gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit[1].
Was der zuständige Minister der SPD Wolfgang Clement tatsächlich mit „equal pay“ meinte, hatte er schon am 29. November 2002 im Bundesrat gesagt: Tarifabschlüsse unterhalb von „equal pay“ [2].
Die Leiharbeit sollte mit Hilfe von Tarifverträgen aus der „Schmuddelecke“ geholt werden[3], um einen Niedriglohnsektor[4] zu schaffen.
Tatsächlich wurde in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Regelung aufgenommen, die für Leiharbeitskräfte dieselben Arbeitsbedingungen vorschreibt wie die, die für Stammarbeitskräfte gelten. Diese Vorschrift lässt aber eine Ausnahme zu: Abweichende Regelungen durch Tarifvertrag.
Seitdem können durch Tarifvertrag auch schlechtere Arbeitsbedingungen, insbesondere auch schlechtere Löhne vereinbart werden als die, die für die Stammarbeitskräfte gelten[5]. Nach der jüngsten Neuregelung sind schlechtere Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag immer noch 9 Monate lang möglich und diese Frist kann sogar noch verlängert werden – wieder durch Tarifvertrag[6]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es überhaupt nur jede vierte Leiharbeitskraft länger als 9 Monate bei ein und denselben Verleiher aushält[7]. Ein Verleiher kann eine Gleichstellung für zwei Leiharbeiter zum Beispiel dadurch vermeiden, dass er sie halbjährlich wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt[8]. Diese beiden Leiharbeitskräfte werden den Stammarbeits-kräften nie gleichgestellt, ersetzen aber in jedem der beiden Entleihbetrieb eine Stammarbeitskraft.
Der Gesetzgeber hätte darauf verzichten können, für den Leiharbeiter nachteilige tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz zu erlauben. Das hat die Bundesregierung aber im Interesse des Kapitals nicht getan, auch nicht in der Neufassung von 2016.
Das gesetzliche Angebot zum Abschluss von Tarifverträgen ist vergiftet. Tarifverträge dienen dazu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Funktion von Tarifverträgen wird auf den Kopf gestellt, wenn das gesetzliche Angebot zum Abschuss von Tarifverträgen tatsächlich auf ein Angebot zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinausläuft. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der DGB bis heute auf dieses vergiftete Angebot einlässt anstatt durch Verzicht auf Tarifverträge dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz von Stammarbeitern und Leiharbeitern Geltung zu verschaffen[9].
Die gewerkschaftliche Handlungsmacht in den Unternehmen der Leiharbeitsbranche reicht nicht aus, um in Tarifverträgen eine Gleichstellung durchzusetzen. Die Einzelgewerkschaften sind deswegen dazu übergegangen in Verhandlungen über die Flächentarifverträge der Stammbelegschaften Leiharbeiter-Zuschläge durchzusetzen. Aber auch das hat bisher nicht annähernd zu einer Gleichstellung von Leiharbeitern und Stammarbeitern geführt. Das mittlere Bruttomonatsentgelt einer Leiharbeitskraft beträgt trotz der vereinbarten Tarifverträge immer noch nur knapp 60 % des mittleren Bruttomonatsentgelts aller Vollzeitbeschäftigten[10].
Die Hartz Gesetze erleichtern einerseits den Verleihern die Verleihung von Arbeitskräften und erhöhen andererseits den Druck auf Arbeitslose, Stellenangebote von Verleihern anzunehmen. Die im Zuge der Hartz Gesetze verschärften Zumutbarkeitsregeln und die Sanktionen, die bei Ablehnung einer angebotenen Stelle zunächst eine Kürzung und im zweiten Wiederholungsfall sogar die vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) vorsehen[11], treiben Arbeitslose, spätestens nach 12 Monaten[12] Arbeitslosigkeit, in die Leiharbeit. Im Juni 2016 waren 2,6 Millionen Menschen arbeitslos, aber nur 664.872 offene Stellen gemeldet, davon waren ein Drittel Stellenangebote von Verleihern[13].
Bundeskanzler Schröder 2005 in Davos:
„Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt“
[1] Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232
[2] Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524.
[3] Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233
[4] „… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. Sitzung 29.11.2002 S. 522)
[5] § 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.
[6] § 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016, S. 9
[7] vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.
[8] Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f.
[9] Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die Regel der gesetzlichen Gleichstellung und nicht die Ausnahme der Schlechterstellung durch Tarifvertrag eingreift. Doch wurden inzwischen die Tarifverträge, die die christliche Gewerkschaft (CGZP) mit den Leiharbeitsfirmen abschloss, wegen Tarifunfähigkeit dieser Gewerkschaft für unwirksam erklärt (BAG BAG NZA 11, 289); auch Verweisungen auf diese Tarifverträge in Einzelarbeitsverträgen sind unwirksam
[10] Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916
[11] Zur Zumutbarkeit: § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II.
[12] Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit gelten die Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen des SGB II
[13] Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen