Kleine Geschichte der Leiharbeit

Hinweis vorab: Wer auch die Fußnoten zu den folgenden einzelnen Textabschnitten lesen will, muss die blauen Überschriften dieser Textabschnitte anklicken.

1. Leiharbeit bis 1945

Bis 1967 war Leiharbeit verboten.

Das war nicht immer so.

Bis zum ersten Weltkrieg war die Verleihung von Arbeitskräften und Stellenvermittlung überwiegend das Geschäft von einigen Tausend privaten Vermittlern.

Die Wende kam in der Folge der Novemberrevolution.

Eine öffentliche Stellenvermittlung löste Schritt für Schritt die Arbeitsvermittlung durch privates Gewerbe ab [1].

Da die Verleihung von Arbeitskräften durch privates Gewerbe als Arbeitsvermittlung galt, war sie, ebenso wie die private Arbeitsvermittlung, ab dem 31. Januar 1931 verboten.

Das Verbot der Verleihung von Arbeitskräften als privates Gewerbe wurde während des Faschismus aufgehoben. Arbeitskräfte wurden in großem Umfang zur Zwangsarbeit verliehen. Auch die Arbeitsämter selbst organisierten Zwangsarbeit und die Versorgung von Rüstungsbetrieben und anderen kriegswichtigen Betrieben mit Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit sank, weil die Rüstungsproduktion stieg. Erst Millionen Arbeitslose, dann Millionen in der Rüstungsproduktion, dann Millionen Kriegstote.

Nach dem Krieg wurden die Vorschriften zur Arbeitsvermittlung und zur gewerbsmäßigen Verleihung von Arbeitskräften aus der Weimarer Republik wurden nahezu wortgleich übernommen. Gewerbsmäßige Arbeitskräfteverleihung galt wieder als Arbeitsvermittlung, verstieß damit wieder gegen das Alleinvermittlungsrecht der Arbeitsämter und war also wieder verboten.


2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

1967 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitskräfteverleihung auf[1].

Wer aber meint, ein erneutes Verbot der Leiharbeit werde wieder am Bundesverfassungsgericht scheitern, kann sich auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berufen. Das Bundesverfassungsgericht traf seine Entscheidung unter Annahmen, die heute nicht mehr gegeben sind[2]. Es  formulierte Voraussetzungen, die nicht mehr erfüllt werden. Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist nicht mehr „sehr begrenzt“ [3]. Die Verträge des Verleihers mit seinen Leiharbeitern werden nicht mehr nur „auf Dauer“ vereinbart[4]. Und schließlich werden überwiegend Menschen  beschäftigt, für die das Leiharbeitsverhältnis die einzige Existenzgrundlage ist[5].

Dem Bundesverfassungsgericht war die Freiheit der Unternehmer, Arbeitskräfteverleihung als Gewerbe zu betreiben, wichtiger als der arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Schutz dieser Arbeitskräfte. Der Befürchtung, dass die Leiharbeitskräfte dieses Schutzes beraubt würden, begegnete das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Gerichte, bei denen ein Leiharbeiter seine Ansprüche einklagen könne.

Dass das nicht reichte, zeigte sehr schnell die Realität. Die elementarsten Unternehmerpflichten wurden von den Verleihern nicht eingehalten: Löhne wurden vorenthalten und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Dabei nahm die Zahl der Verleihfirmen sprunghaft zu.


3. Besserer Schutz durch ein Gesetz (AÜG)?

Zur wirksameren Unterbindung solcher Verstöße beschloss der Bundestag 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)[1].

Dieses Gesetz regelte zulässige Arbeitskräfteverleihung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Danach hat ein Verleiher das Recht, eine Arbeitskraft an ein anderes Unternehmen weiter zu verleihen, und übernimmt gleichzeitig für diese Arbeitskraft die üblichen Pflichten eines Unternehmers (Lohnzahlung, Lohnfortzahlung im Urlaub und bei Krankheit, Kündigung nach den Regeln des Kündigungsschutzgesetzes usw.). Grundlage ist ein Vertrag, den Verleiher und Leiharbeiter miteinander vereinbaren und der „während der Zeit, in der der Arbeitnehmer in dem fremden Betrieb tätig wird, weiter besteht“ [2].

Die Verleihung der Arbeitskraft wird in einem gesonderten Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher, zum Beispiel Daimler, vereinbart (Arbeitnehmer-Überlassungsvertrag[3]).

Der Verleihung von Arbeitskräften ist ein besonderes wirtschaftliches Risiko eigen; denn nach einer abgeschlossenen Verleihung in einen Einsatzbetrieb können Anschlussaufträge fehlen, also einsatzfreie Zeiten drohen. Das Gesetz wollte   verhindern, dass der Verleiher dieses Risiko auf die Leiharbeitskraft abwälzt. Deswegen ordnete es an, dass der Vertrag des Verleihers mit seinem Arbeiter grundsätzlich nicht befristet ist (besondere Befristungsverbote) [4];  insbesondere darf dieser Vertrag nicht auf den Zeitraum des ersten Einsatzes beschränkt sein (Synchronisationsverbot). Dabei verpflichtet das Gesetz den Verleiher zwingend, dem Leiharbeiter den Lohn auch in Arbeitszeiten weiter zu zahlen, in denen er ihn nicht beschäftigen kann[5]

Das Gesetz wollte zudem verhindern, dass ein  Leiharbeiter auf Dauer in einem Betrieb eingesetzt werden kann. Wenn Daimler eine Arbeitskraft für mehr als 3 Monate brauchte, sollte Daimler eine Stammarbeitskraft einstellen. Das regelte das Gesetz dadurch, dass es eine Höchstverleihdauer anordnet.  Länger als drei Monate durfte kein Leiharbeiter bei Daimler eingesetzt werden.  

Besonders wichtig sind die Vorschriften zur staatlichen Aufsicht des Verleihers und die Sanktionen zur  Einhaltung und Durchsetzung der Schutzvorschriften dieses Gesetzes[6]. Das Verleihen von Arbeitskräften bedarf einer besonderen Erlaubnis[7], „um illegale Praktiken zu unterbinden“ [8]. Wenn der Verleiher  ohne Erlaubnis handelt, wird durch Gesetz aus der Leiharbeitskraft eine Stammarbeitskraft von Daimler[9].

Obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verabschiedet worden war, um Leiharbeitskräfte besser zu schützen, konnte es nie auch nur die elementarsten Rechte der Leiharbeitskräfte sicherstellen. Leiharbeiter selbst nehmen diese  Rechte nur selten wahr; die Rolle, die ihre Verleiher dabei spielen, verschweigen sie. Angst leitet das Verhalten der Leiharbeiter, Angst als Kehrseite der Schutzlosigkeit und Unterdrückung[10].  


4. Deregulierung und Demontage

In den 80er Jahren wurde ein fundamentaler Umbruch im Arbeits- und Sozialrecht eingeleitet, der bis heute andauert. Seitdem konzentrieren sich alle Bundesregierungen  – unabhängig davon, ob sie schwarz/gelb,  rot/grün oder schwarz/rot zusammen gesetzt sind – darauf, die Dämme einzureißen, die die abhängig Beschäftigten zu ihrem Schutz über Jahrzehnte erkämpft hatten (Deregulierung)[1]. Die im Jahr 2002/2003 beschlossenen Hartz Gesetze sind der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.


4.1 Die Demontage des AÜG

Die Deregulierung oder – besser gesagt-  die Demontage des AÜG erfasste Schritt für Schritt alle wesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes:

  1. die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf,
  2. die besonderen Befristungsverbote für Verträge zwischen Leiharbeiter und Verleiher, und
  3. die Sanktionen bei  illegaler Leiharbeit.

Alles begann 1985 mit dem so genannten Beschäftigungs-förderungsgesetz[1]: Die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf, wurde von drei auf sechs Monate erhöht[2].

In den folgenden Jahren wurde diese zulässige Höchstverleihdauer Schritt für Schritt  immer mehr ausgeweitet: Von 6 auf 9 Monate, von 9 auf 12, von 12 auf 24 Monate; 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze wurde sie vollständig gestrichen. Das öffnete der Verdrängung von Stammarbeitskräften durch billigere Leiharbeitskräfte Tür und  Tor.

Die Tore wurden nie wieder geschlossen, nicht durch  die 2011 eingeführte Eingrenzung der Verleihdauer[3] auf eine  „vorübergehende“ Verleihung und auch nicht durch die Neufassung des AÜG aus dem Jahr 2016[4]. In dieser jüngsten Neufassung  wird für Verleiher die Höchstverleihdauer von Arbeitskräften auf 18 Monate eingeschränkt; doch nach drei Monaten kann eine Leiharbeitskraft wieder nach Daimler zurückkehren. Damit wird die ursprüngliche Höchstverleihdauer aus dem Jahre 1972 von drei Monaten immer noch um das 6fache übertroffen; es wird auch nicht unterbunden, dass nach spätestens 18 Monaten auf demselben Arbeitsplatz eine neue Leiharbeitskraft, und danach wieder die alte Leiharbeitskraft  eingesetzt wird und so durch abwechselnden Einsatz zweier Leiharbeitskräfte eine Stammarbeitskraft auf diesem Arbeitsplatz nie mehr zum Zuge kommt[5]. Dieser Arbeitsplatz wird nicht mehr nur vorübergehend, sondern auf Dauer durch Leiharbeitskräfte besetzt. Eine gesetzliche Regelung, die das ausschließt, ist nicht unmöglich, wie Arbeitsministerin A. Nahles meint[6]; denn eine solche Regelung, einschließlich der entsprechenden Rechtsprechung, existiert bereits für befristete Einstellungen mit sachlichem Grund[7]. Die Ministerin hätte sich  für eine entsprechende Regelung im AÜG einsetzen können, so dass eine Tätigkeit nicht mehr auf Dauer nur von Leiharbeitskräften erledigt werden kann[8]. Konsequenter wäre es jedoch, den Einsatz von Leiharbeitskräften ganz zu verbieten. Bei vorübergehendem betrieblichem Bedarf an Arbeitsleistung haben die Unternehmer dann immer noch die Möglichkeit, eben aus diesem Sachgrund befristet einzustellen[9].

Die  jüngste Neufassung sieht zudem eine unbegrenzte Erhöhung der Verleihdauer vor, wenn sie durch die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche tarifvertraglich vereinbart wird. Dementsprechend hat die IG Metall mit GesamtMetall die  Möglichkeit eröffnet, im Rahmen von freiwilligen Betriebsvereinbarungen die Höchstverleihdauer auf 48 Monaten und im Einzelfall darüber hinaus zu verlängern; kommt eine Betriebsvereinbarung nicht zustande gilt eine  Höchstverleihdauer von 24 Monaten. Einer gerichtlichen Überprüfung werden solche Betriebsvereinbarungen  ebenso wenig wie die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen im Tarifvertrag und Gesetz standhalten[10].       

Die besonderen Befristungsverbote im  Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurden zunächst gelockert und dann 2002/2003 – im Zuge der Hartz Gesetze – ganz gestrichen, auch das so genannte Synchronisationsverbot, das eine Begrenzung des Arbeitsvertrages auf die Dauer des ersten Einsatzes untersagte. Seitdem gelten bis heute nur noch die Befristungsregeln, die grundsätzlich für alle Arbeitsverträge gelten[11]. In den ersten beiden Jahren kann der Verleiher demnach  Befristungen mit seiner Leiharbeitskraft vereinbaren, die mit dem Ende der ersten Verleihung auslaufen. Dadurch kann der Verleiher das wirtschaftliche Risiko fehlender Anschlussaufträge und einsatzfreier Zeiten voll auf den Leiharbeiter abwälzen – und damit genau das tun, was 1967 das Bundesverfassungsgericht und 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausgeschlossen hatten.

Die Sanktion wegen illegaler Leiharbeit lief zunehmend ins Leere. Wir erinnern uns: Diese Sanktion besteht darin, dass Leiharbeiter durch Gesetz zu Stammarbeitern von Daimler werden. Sie galt nach dem AÜG von 1972 auch bei der Überschreitung der Höchstverleihdauer, wurde aber 1997 für diesen Fall aufgehoben[12]. Werkvertragsunternehmen droht diese Sanktion, wenn ihr Einsatz in den Betrieben nur dem Namen nach Werkvertrags-Tätigkeit, in Wirklichkeit aber Leiharbeit ist (verdeckte Leiharbeit); denn dafür fehlt ihnen die Erlaubnis, ohne die Verleiher ihr Geschäft nicht betreiben dürfen. Werkvertragsunternehmen entgingen dieser Sanktion, indem sie einfach auf Vorrat eine Erlaubnis beantragten – als ‚Rettungsschirm‘ für den Fall, dass ihr Werkvertrags-Einsatz als Leiharbeit ‚enttarnt‘ wurde[13]. Die jüngste Neufassung des AÜG des Jahres 2016 unterbindet diese Erlaubniserteilung auf Vorrat und kehrt auch bei Überschreitung der Höchstverleih-dauer wieder zu der Sanktion zurück wie sie bis 1997 nach dem AÜG galt.


4.2 Das Begründungsmuster

Das Muster, mit dem der Abbau von sozialen Rechten und Arbeitsrechten begründet wird, lässt sich schon an der  Begründung des Beschäftigungsförderungsgesetzes des Jahres 1985 ablesen. Während die sozial-liberale Bundesregierung 1972 die Verabschiedung des Arbeitnehmerüberlassungs-gesetzes ausschließlich mit der Notwendigkeit begründete, den Schutz der Leiharbeitskräfte zu verbessern[1], baute die christlich-liberale Bundesregierung genau diesen Schutz mit der Begründung ab, „zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“ [2]. Die Bundesregierung behauptete, dieses Ziel u.a. durch Erleichterungen bei der Verleihung von Arbeitskräften erreichen zu können. Dadurch würden die Unternehmer, statt Überstunden abzubauen, mehr Leiharbeiter einstellen[3].

Das zuständige Bundesministerium gab eine Überprüfung dieses Gesetzes auf seine Beschäftigungswirkung in Auftrag. Diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis: Das Beschäftigungsförderungsgesetz hatte nur „marginale direkte Zusatzeinstellungs-Effekte“[4]

Entscheidend ist eben, dass ein Unternehmen nicht einstellt, wenn  die Aufträge fehlen. Die Beschäftigungslage hängt von der Auftragslage in den Unternehmen ab und nicht von Erleichterungen bei der Einstellung von Leiharbeitern. Die Propagierung der Deregulierung als Beschäftigungs-förderung[5] ist ein ausgemachter Unsinn mit allerdings bösen Folgen für die abhängig Beschäftigten, die ihrer Schutzrechte beraubt werden.

Zusätzliche Beschäftigung durch Einstellung von mehr Leiharbeitskräften ist kein erstrebenswertes Ziel.  Die IG Metall propagierte stattdessen, die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen, und  war mit diesem Ziel in ihren bisher letzten großen Kampf gezogen, den Kampf um die 35 Stunden Woche[6].

Dagegen lief die von der Kohlregierung propagierte Politik auf nichts anderes hinaus, als die Arbeitslosigkeit zu nutzen, um die Positionen der Unternehmer zu stärken. Sie nutze die Angst vor Arbeitslosigkeit und machte daraus ein Programm zum Abbau von Schutzrechten in Zeiten, in denen der Druck auf die abhängig Beschäftigten am größten ist und sie diese Rechte am meisten  brauchen.

„ Mehr Arbeit durch weniger Rechte und weniger sozialen Schutz“ – das sollte das Grundmuster für die Begründung aller folgenden Gesetze sein,  die auf den Abbau von sozialen Rechten und Leistungen  gerichtet waren – obwohl sich dieses Muster schon als  Begründung  für das Beschäftigungs-förderungsgesetz als nicht tragfähig erwiesen hatte.

Die Hartz Gesetze standen unter dem Motto: „Sozial ist was Arbeit schafft“. 

Typischerweise gehen diese Angriffe auf die abhängig Beschäftigten einher mit Angriffen auf ihre Gewerkschaften. So auch im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen. Bundeskanzler Schröder drohte in seiner 2010-Agenda-Rede wörtlich: „Die verantwortlichen – Gesetzgeber wie Tarifpartner – müssen in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktlage ihre Gestaltungsspielräume nutzen, um Neueinstellungen zu erleichtern. … Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien entlang dessen, was es bereits gibt – aber in weit größerem Umfang – auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln wissen“[7]. Damit reihte sich der Bundeskanzler in die Linie von CDU/CSU und FDP ein und propagierte die Bekämpfung der  Arbeitslosigkeit durch Bekämpfung tariflicher Mindeststandards – wenn nicht mit den Gewerkschaften (durch ausufernde Öffnungsklausel), dann gegen sie[8].    

Was die Hartz Gesetze in den Köpfen angerichtet haben, ist  ebenso verheerend wie die Hartz Gesetze selbst. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen erheblich gesunken. Die meisten damaligen Befürworter der Hartz Gesetze[9] führen das  nicht auf eine bessere Konjunktur, sondern auf diese Gesetze zurück.

Die nächste Krise kommt bestimmt und ebenso sicher werden die Unternehmer versuchen, dann noch mehr Rechte der Beschäftigten abzubauen. Das Begründungmuster ist schon bekannt: Es wird dasselbe sein, wie das der vorangegangenen Jahre.

Es ist eine Politik mit verheerenden Folgen. Das zeigt der enorme Wählerzulauf für die AfD, die die Unzufriedenheit auf  völkische und rassistische Mühlen lenkt. Auch ein Blick zurück in die Geschichte schärft den Blick für die Konsequenzen, die eine Politik des Abbaus von Arbeitsrechten und sozialen Leistungen nach sich zieht: Zum Ende der Weimarer Republik verfolgte die  Regierung Brüning einen rigorosen Sparkurs und senkte Sozialausgaben und Löhnen durch Notverordnungen.  Die folgende Regierung Papen erließ am 5. September 1932 eine Notverordnung, die den Unternehmen erlaubte, bei Neueinstellungen unter die tarifvertraglichen Lohnsätze zu gehen. Den Gewerkschaften wurde durch eine weitere Verordnung vom 3. Oktober 1932 der Kampf dagegen verboten[10]. Alles „zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit“, so der Name der Notverordnung vom 5. September 1932. 1933 folgte der Hitlerfaschismus, die Zerschlagung der  Gewerkschaften und wenige Jahre später Krieg.


5. „equal pay“ und Niedriglohnsektor

Die rot/grüne Bundesregierung verbarg 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze den Abbau von Schutzrechten für Leiharbeitskräfte hinter dem Versprechen, Leiharbeitskräfte Stammarbeitskräften gleichzustellen; sie versprach nicht nur gleichen Lohn für gleiche Arbeit („equal pay“), sondern insgesamt gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit[1].  

Was der zuständige Minister der SPD Wolfgang Clement tatsächlich mit „equal pay“ meinte, hatte er schon am 29. November 2002 im Bundesrat gesagt: Tarifabschlüsse unterhalb von „equal pay“ [2].

Die Leiharbeit sollte mit Hilfe von Tarifverträgen aus der „Schmuddelecke“ geholt werden[3], um einen Niedriglohnsektor[4] zu schaffen.   

Tatsächlich wurde in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Regelung aufgenommen, die für Leiharbeitskräfte dieselben Arbeitsbedingungen vorschreibt wie die, die für Stammarbeitskräfte gelten. Diese Vorschrift lässt aber eine Ausnahme zu: Abweichende Regelungen durch Tarifvertrag.

Seitdem können durch Tarifvertrag auch schlechtere Arbeitsbedingungen, insbesondere auch schlechtere Löhne vereinbart werden als die, die für die Stammarbeitskräfte gelten[5]. Nach der jüngsten Neuregelung sind schlechtere Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag immer noch 9 Monate lang möglich und diese Frist kann sogar noch verlängert werden – wieder durch Tarifvertrag[6]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es überhaupt nur jede vierte  Leiharbeitskraft länger als 9 Monate bei ein und denselben Verleiher aushält[7]. Ein Verleiher kann eine Gleichstellung für zwei Leiharbeiter zum Beispiel dadurch vermeiden, dass er sie  halbjährlich wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt[8].  Diese beiden Leiharbeitskräfte werden den Stammarbeits-kräften nie gleichgestellt, ersetzen aber in jedem der beiden  Entleihbetrieb eine Stammarbeitskraft.

Der Gesetzgeber hätte darauf verzichten können, für den Leiharbeiter nachteilige tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz zu erlauben. Das hat die Bundesregierung aber im Interesse des Kapitals nicht getan, auch nicht in der Neufassung von 2016.

Das gesetzliche Angebot zum Abschluss von Tarifverträgen ist vergiftet. Tarifverträge dienen dazu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Funktion von Tarifverträgen wird auf den Kopf gestellt, wenn das gesetzliche Angebot zum Abschuss von Tarifverträgen tatsächlich auf ein Angebot zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinausläuft. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der DGB bis heute auf dieses vergiftete Angebot einlässt anstatt durch Verzicht auf Tarifverträge dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz von Stammarbeitern und Leiharbeitern Geltung zu verschaffen[9].

Die gewerkschaftliche Handlungsmacht in den Unternehmen der Leiharbeitsbranche reicht nicht aus, um in Tarifverträgen eine Gleichstellung durchzusetzen. Die Einzelgewerkschaften sind deswegen dazu übergegangen in Verhandlungen über die  Flächentarifverträge der Stammbelegschaften Leiharbeiter-Zuschläge durchzusetzen. Aber auch das hat bisher nicht  annähernd zu einer Gleichstellung von Leiharbeitern und Stammarbeitern geführt. Das mittlere Bruttomonatsentgelt einer Leiharbeitskraft beträgt trotz der vereinbarten Tarifverträge immer noch nur knapp 60 % des mittleren Bruttomonatsentgelts aller Vollzeitbeschäftigten[10].

Die Hartz Gesetze erleichtern einerseits den Verleihern die Verleihung von Arbeitskräften und erhöhen andererseits den  Druck auf Arbeitslose, Stellenangebote von Verleihern anzunehmen. Die im Zuge der Hartz Gesetze verschärften  Zumutbarkeitsregeln und die Sanktionen, die bei Ablehnung einer angebotenen Stelle zunächst eine Kürzung und im zweiten Wiederholungsfall sogar die vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) vorsehen[11], treiben  Arbeitslose, spätestens nach 12 Monaten[12] Arbeitslosigkeit, in die Leiharbeit. Im Juni 2016 waren 2,6 Millionen Menschen arbeitslos, aber nur 664.872 offene Stellen gemeldet, davon waren ein Drittel Stellenangebote von Verleihern[13].

Bundeskanzler Schröder 2005 in Davos:

„Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung  Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt“ 


6. Leiharbeit gefährdet das Streikrecht

Das Einzige, was die abhängig Beschäftigten haben, um ihre Interessen gegen die Unternehmer zu verteidigen, ist das  gemeinsame Handeln. Das ist gefährdet, solange den Unternehmen das Recht eingeräumt wird, neben Stammarbeitskräften Leiharbeitskräfte einzusetzen. Insbesondere gefährdet der Einsatz von Leiharbeitskräften eine wirksame Ausübung des Streikrechts[1].

Auch nach den 2016 beschlossenen Änderungen  des AÜG ist es dem Entleiher nicht verboten, Leiharbeiter in einem bestreikten Betrieb einzusetzen. Dem Entleiher ist es nur verboten, einen Leiharbeiter für Tätigkeiten einzusetzen, „die bisher von Arbeitnehmern erledigt wurden, die

1. sich im Arbeitskampf befinden oder

2. ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die sich im Arbeitskampf befinden, übernommen haben“[2].

Für Leiharbeiter, die nicht unter dieses Verbot fallen, bleibt es bei der schon bisher  geltenden Regelung: Sie müssen selbst entscheiden, ob sie ihr Recht auf Leistungsverweigerung wahrnehmen wollen[3] und machen in der Regel wegen Angst vor Repressalien von diesem Recht keinen Gebrauch[4]. Das gefährdet eine wirksame Ausübung des Streikrechts, und zwar umso mehr, je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb schon vor Arbeitskampfbeginn eingesetzt wurden. Je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb arbeiten umso schwerer wird es für die Stammarbeiter, diesen Betrieb im Arbeitskampf zum Stillstand zu bringen.

Wenn Unternehmer  einwenden,  ein vollständiges Einsatzverbot von Leiharbeitern in einem bestreikten Betrieb zerstöre die Kampfparität[5], dann kann man nur erwidern: Die Kampfparität haben die Unternehmer durch die Einstellung von Leiharbeitskräften selbst zerstört.


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